Story-Teller. Erzähl mal!

Neulich an einem Freitagabend hatte ich ein Blind-Date in München mit ca. 20 anderen Menschen im Wirtshaus Maximilian im Glockenbachviertel.

Der Name des Events: Story-Teller. Das Ziel: kein Verkuppeln einsamer Singles, sondern eine Erweiterung des eigenen Horizonts durch tiefgründige Gespräche mit fremden Menschen in einer tollen Lokalität gepaart mit gutem Essen.
3 Gänge, 3 Begegnungen, 3 Fragen und das alles für 49,90€. Klingt ganz schön vielversprechend, was?
Hier kommt mein Erfahrungsbericht.

Der Empfang

Ganz gespannt, aber etwas unsicher treffe ich im Wirtshaus ein. Ein Kellner schickt mich nach hinten in einen separaten Raum. Hier begrüßt mich gleich ganz nett die Initiatorin des Ganzen: Katrin Frische.

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Mit einem Aperitif in der Hand schaue ich mich etwas um und suche meinen Namen auf den Platzkärtchen an den eingedeckten Tischen. Ich bin schon so neugierig, was für Leute außer mir an solch einem Abend teilnehmen.

Nach und nach trudeln sie dann auch alle ein und eins wird direkt klar: die Gäste sind überwiegend weiblich. So auch mein erstes Gegenüber Gesa.  Sie ist mir auf Anhieb sympathisch und nachdem wir gleich drauf los quasseln entspanne ich mich etwas.

Die Regeln

Pünktlich um 19:00 sind wir komplett und Katrin erklärt uns die Regeln. Es gibt 3 Gänge, 3 Fragen und 3 Begegnungen, das heisst: Nach jedem Gang wechseln die Gesprächspartner und es gibt eine neue Frage. Pro Gang stehen 20 Minuten Gesprächszeit zur Verfügung, so dass jeder 10 Minuten Zeit hat, seine Geschichte zur Frage zu erzählen. Das Gegenüber hat in dieser Zeit Pause und darf sich auf das Zuhören konzentrieren. Verbale Reaktionen, Zwischenfragen etc. sind nicht erlaubt. Unser heutiges Motto: Sehnsucht.

Katrin erklärt, dass es ihr darum geht, die Magie des Augenblicks einzufangen, der bei einer ersten Begegnung stattfindet. Es geht darum, sich abseits des digitalen Socializings auch mal wieder im echten Leben zu treffen und auf das persönliche Gespräch und sein Gegenüber zu konzentrieren. In tiefgründige Gesprächen, fernab vom üblichen Kennenlern-Smalltalk geht es darum, mehr über den anderen, aber auch über sich selbst zu erfahren.

Der 1. Gang: Feine Kürbiskernsuppe mit Kernöl aus der Steiermark

Nach der Einführung starten wir mit der ersten Frage zum Motto Sehnsucht:

„Gibt es einen besonderen Duft, eine Farbe oder einen Geschmack, der dich an deine Kindheit erinnert?“

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Als Hilfestellung gibt es Hashtags: wie #Kelleräpfel, #frischgemähteWiesen oder #Karamellbonbons. Sie sollen uns das nachdenken und die Beantwortung der Frage vereinfachen.

Das erste Bild, welches mir in den Kopf schießt, hat so gar nichts mit einer Farbe, einem Geschmack, oder einem Duft zu tun. Es ist stattdessen das Bild meiner geliebten Oma mit mir auf dem Arm. Ich war drei Jahre alt. Wir stehen am Fenster ihrer Altbauwohnung im Dachgeschoss und blicken über die Dächer auf den nahe gelegenen Kirchturm. Ein sehr privater und sehr emotionaler Moment.

Während ich noch überlege, was davon ich einer fremden Person erzählen soll und dann auch noch 10 Minuten lang, beichtet mir Gesa, dass ihr kein Duft, keine Farbe und auch kein Geschmack zur Kindheit einfällt. Stattdessen ein Bild mit ihrer Oma. Ich muss lachen. Doch ihre Geschichte kommentieren darf ich nicht und so lasse ich sie weiter erzählen. Ich merke, wie schwer mir das fällt.

Da Gesas Geschichte genau wie meine keine 10 Minuten füllt, beschließen wir einfach, die Regel zu brechen und stattdessen eine „normale“ Unterhaltung zu führen. Und das ist so nett, dass ich richtig traurig bin, als die ersten 20 Minuten um sind und ich für Runde 2 meinen Platz wechseln muss. Ich wäre gerne noch bei Gesa sitzen geblieben und hätte mit ihr weiter gequatscht. Doch Regeln sind Regeln und schließlich habe ich mich auf diesen Abend eingelassen.

Der 2. Gang: Zartes Spanferkel mit Kartoffelselleriepüree und Weißweinsoße

Mein nächster Gesprächspartner ist einer der wenigen Männer im Raum und die zweite Frage scheint als ehemaliger Globetrotter wie für ihn gemacht:

„Hast du eher Sehnsucht nach Heimat oder Sehnsucht nach Ferne?“

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Diesmal darf ich beginnen und ich merke, wie schwer es mir fällt, spontan 10 Minuten kluge Sachen von mir zu geben und einen Fremden ein Stück in mein Leben zu lassen.

Ich liebe es zu reisen, aber gerade wenn ich alleine unterwegs bin, habe ich auch Sehnsucht nach meiner Familie und meinen Freunden. Ich könnte ihm jetzt von den vielen Nächten erzählen, in denen ich mich in meiner ersten Zeit in München abends in den Schlaf geweint habe, weil ich mich in der fremden Stadt so einsam gefühlt habe. Mein Gegenüber sieht allerdings so aus, als könnte ihn nichts erschüttern. Er würde sicher nur müde lächeln und mir einen mitleidigen Blick zuwerfen.
Es geht beim Story-Teller wohl auch darum, die Fassade abzulegen, die man sonst im Umgang mit Fremden aufrechterhält.

Der 3. Gang: Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster und Apfelkompott

Vor dem 3. Gang machen wir eine kleine Frischluftpause, während der ich auf Robert treffe. Er ist Mathematiker und ungefähr in meinem Alter. Da beim 3. Gang freie Platzwahl ist, fragt mich Robert, ob wir uns nicht gleich zusammen setzen wollen. Ich stimme zu und bin schon ganz gespannt auf Frage 3.

„Was wünschst du dir aus den Tiefen deines Herzens?“

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Die wahrscheinlich intimste Frage des Abends. Natürlich schiesst mir sofort eine Antwort in den Kopf. Doch die kann und will ich keinem Fremden erzählen und so beantworte ich die Frage sehr allgemein.  Auch Robert wählt seine Worte bedächtig.

Fazit

Der Story-Teller war für mich eine ganz neue Erfahrung- ein sehr unterhaltsamer Abend mit interessanten Menschen. Das Schöne und Besondere: Menschen egal welchen Alters, Geschlechts, Beziehungstandes und egal welcher Herkunft treffen beim Story-Teller aufeinander. So kommt es zu Begegnungen mit Leuten, die im „echten Leben“ so wahrscheinlich nie zustande gekommen wären.

Da ich ein Mensch bin, der ziemlich lange braucht, um Vertrauen zu anderen Menschen zu fassen, hatte ich große Schwierigkeiten damit, mich zu öffnen und meine Gedanken und Gefühle zu den teilweise doch sehr intimen Fragen komplett fremden Gesprächspartnern anzuvertrauen.

Ungewohnt für mich war auch, dass ich während der 10-minütigen Redezeit meines Gegenübers keine Fragen stellen durfte. Andererseits war genau das aber eine schöne Übung, um das aufmerksame Zuhören zu trainieren.

Für Menschen, die neu in der Stadt sind, Anschluss bzw.  den Austausch mit anderen suchen, oder einfach inspirierende Menschen außerhalb des eigenen Dunstkreises treffen möchten, ist der Story-Teller aber ganz sicher eine wunderbare Möglichkeit, um Kontakte zu knüpfen und die Anonymität der Großstadt zu durchbrechen.

Nächster Story-Teller in deiner Stadt

Der nächste Story-Teller in München findet am 10.01.2017 in der Pfistermühle statt. Weitere Termine, auch in anderen Städten, findet ihr hier.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Katrin Frische für die Einladung und den schönen und sehr interessanten Abend.