Flüchtlinge! Die Angst vor dem Unbekannten.

Flüchtlinge. Dieses Wort wurde in den letzten Wochen von den Medien überstrapaziert. Das Grauen, welches damit einhergeht, gerät immer mehr in den Hintergrund. Der häufige Gebrauch lässt es nicht mehr so schrecklich erscheinen, lässt uns abstumpfen.

Doch das Wort Flüchtling kommt von Flüchten– der Duden definiert es so:

1. das unerlaubte und heimliche Verlassen eines Landes, Ortes
2. das Ausweichen aus einer als unangenehm empfundenen oder nicht zu bewältigenden [Lebens]situation

Ich frage mich so oft, wie schlimm eine [Lebens]situation sein muss, damit ein Mensch die Entscheidung trifft, Heimat und Familie hinter sich zu lassen und sich auf eine gefährliche Reise zu begeben, an deren Ende entweder eine bessere Zukunft, oder aber im schlimmsten Fall der Tod wartet. Ich hoffe, dass ich es nie am eigenen Leib erfahren muss.

IMG_20151105_135649[1]

Auch einer meiner liebsten Freunde ist geflüchtet. Mit 12 Jahren aus dem Iran. Vor dem Krieg. Allein. Ohne seine Familie und Freunde. Er landete in einem ihm unbekannten Land mit einer fremden Sprache. In meiner Heimat. In Deutschland.

Für ihn nahm die Flucht trotz einer sehr schweren Zeit als Kind, ohne Familie in einem fremden Land, ein gutes Ende. Er kam in eine liebevolle Pflegefamilie, studierte, hat inzwischen einen tollen Job und spricht Deutsch, als wäre es seine Muttersprache. Er liebt Deutschland und die Sicherheit, die es ihm bietet. Auch wenn ihm hier das Liebste fehlt: seine Familie. Die konnte er erst als Erwachsener das erste Mal nach seiner Flucht wiedersehen.

Seine Geschichte bewegt mich immer noch sehr. Und gerade jetzt in der aktuellen Situation denke ich sehr oft darüber nach, was er schon als Kind erleben musste.

Ich weiß, dass man keinem Menschen etwas Schlechtes wünschen sollte. Doch für alle Pegida-Anhäger und Hetzer wünsche ich mir einen temporären Ländertausch. Ich wünsche mir, dass diese Menschen einmal das durchmachen müssen, was die Flüchtlinge in ihrem Land und auf der Flucht erleben mussten.  Denn würden wir nicht alle ganz genauso handeln, wenn in Deutschland Krieg ausbrechen würde? Würden wir nicht genauso versuchen, unsere Familien, Kinder und nicht zuletzt unser eigenes Leben zu retten?

Wie würde es uns gehen, wenn wir nach einer lebensgefährlichen Flucht in einem fremden Land ankommen, welches wir als unsere einzige Hoffnung betrachten und anstatt mit offenen Armen mit Hetzkampagnen, Drohungen und Hass empfangen werden? Würde dies nicht dazu beitragen, dass wir uns in diesem Land nicht willkommen fühlen würden und deshalb eine Integration für uns gar nicht erst erstrebenswert erscheint?
Wozu eine Sprache lernen, wenn man in dieser nur mit Menschen kommunizieren kann, die einem Hass entgegenbringen? Wozu in eine Kultur integrieren, die die eigene so vehement ablehnt?

Natürlich ist nicht alles schwarz und weiß. Auch ich habe Ängste. Ich habe Angst davor, in meinen Grundrechten beschnitten zu werden. Ich habe Angst davor, dass sich die hart erkämpfte Gleichstellung der Frau wieder zurück entwickelt und Männer mir nicht mehr die Hand geben, oder es als Beleidigung empfinden, wenn ich Ihnen direkt in die Augen blicke. Ich trage gerne kurze Hosen und Topps und lege mich im Sommer im Bikini an die Isar. All das möchte ich auch weiterhin für mich und für meine Kinder, die ich vielleicht irgendwann einmal haben werde, beanspruchen.

Doch wenn mich diese Ängste befallen, denke ich immer an meinen iranischen Freund A. und frage mich, warum wir immer vom Schlimmsten ausgehen. Denn A. ist eine Bereicherung für mein Leben gewesen. Er ist ein großartiger Mensch und er hat mir vor Augen geführt, dass ich unheimlich dankbar für all das sein kann, was ich als selbstverständlich erachte.
Ich kann meine Familie sehen, wann immer ich möchte. Wir leben in einem Land, in dem seit 70 Jahren Frieden herrscht. Wir haben ein Sozialsystem, was uns auffängt, sollte uns ein schlimmer Schicksalsschlag ereilen. Wir dürfen in der Öffentlichkeit unsere Meinung sagen, dürfen nackt im Englischen Garten in der Sonne liegen und haben Dank unserer Deutschen Staatsbürgerschaft das unglaubliche Glück, als Touristen erster Klasse (fast) alle Länder dieser Welt problemlos bereisen zu dürfen.

Für den Erhalt dieses Zustandes sollten wir kämpfen. Und wir sollten uns fragen, warum wir dieses Glück wie selbstverständlich nur für uns beanspruchen, anstatt es mit all den Menschen, die bei uns Hilfe suchen zu teilen.
Natürlich wird sich unsere Gesellschaft gezwungenermaßen verändern. Täglich kommen neue Flüchtlingsströme mit tausenden von Menschen in unser Land. Wir brauchen uns keinen Illusionen hingeben- viele von Ihnen werden bleiben, denn in ihrer Heimat herrscht Krieg und eine Rückkehr wäre wie ein Todesurteil. Wir müssen uns also mit Ihnen auseinandersetzen und arrangieren.

Es liegt an uns, ob wir es schaffen, ein friedliches Miteinander statt Gegeneinander zu schaffen. Dafür müssen wir unsere Ängste überwinden und Brücken bauen. Nur so können wir den Frieden für uns und die kommenden Generationen in unserem Land bewahren.

Mehr zum Thema:
Paul Knecht: Flucht nach Europa
Blogparade zum Literaturfest

 

Bildquelle Beitragsbild: Pixabay